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Auf ein Telefonat mit Markus Beckedahl

Markus Beckedahl: „Kill Switch von Leuten, für die Internet Neuland ist.“

Und irgendwie sitzen wir da und hören nur gebannt zu, lesen die spannenden Medienartikel und hoffen innerlich immer noch, dass der Moderator um die Ecke kommt: Verarscht! Versteckte Kamera. Dabei ist das Netz längst zur realen Lebenswelt geworden. In diesem Zuhause führen sich gerade Regierungen, Unternehmen und Geheimdienste so auf, als wäre es ihr Haus. Sie machen die Bürger zu Untertanen. Das sollte sie doch eigentlich einschüchtern. Eigentlich.

Wen es nicht einschüchtert, sind vor allem netzpolitische Geister, die heute nicht mehr zu Verschwörungstheoretikern gehören. Sie sind jetzt die, die wir am meisten brauchen. Denn sie rütteln an unserer Starre, an unserer Metamorphose, durch die wir guten Glaubens eins mit der kommunikativen Freiheit wurden. Und nun einem Skandal gegenüberstehen, der alle entblättert. Bis sie nackt sind.

Einer von ihnen heißt Markus Beckedahl. Er bloggt seit 2003 für netzpolitik.org über Politik im und für das Netz und ist neben Johnny Haeusler einer der Gründer der jährlichen re:publika-Konferenz.

Wenn einer weiß, welcher Machtkampf im Internet auf den Schultern der Bürger ausgetragen wird, dann ist er es.

Und darum rufe ich ihn an.

Ich: Herr Beckedahl, was würden Sie gerade tun, wenn es keinen dieser Abhörskandale gäbe? Würde Ihnen etwas fehlen?

M. Beckedahl: Ohne diesen Überwachungsskandal beziehungsweise ohne diese Enthüllungen, die von Edward Snowden ausgelöst wurden, hätte ich jetzt wahrscheinlich in diesem Sommer viel mehr Zeit an irgendwelchen Seen verbracht. Nun ist das leider so und Themen wie die Netzneutralität sind in den Hintergrund gerückt. Allerdings finde ich die Aufmerksamkeit auf dieses Thema, das mich seit 15 Jahren beschäftigt, sehr gut. Das hat mich ja damals motiviert, Politik zu machen, nämlich gegen eine Überwachung meiner Online-Kommunikation vorzugehen. Nun ist die Debatte in den Mainstream-Medien angekommen und wird nicht mehr in irgendwelchen netzpolitischen Zirkeln diskutiert, sondern hat eine gesellschaftliche Bedeutung erlangt.

Ich: Und hätte es Herrn Snowden nicht gegeben, würden wir uns dann in einer Orwellschen Welt bewegen?

M. Beckedahl: Für Menschen, die sich schon länger damit beschäftigen, waren die Enthüllungen nichts Neues. Wir wussten, dass die Geheimdienste möglichst viel Kommunikation überwachen würden; seit über neun Jahren berichten wir auf netzpolitik.org darüber. Es war aber eher ein Konjunktiv. Die Frage war nur: Was werden die machen, wenn sie mal die technischen und finanziellen Möglichkeiten haben, um die Überwachsungsinfrastruktur aufzubauen? Die Fachdebatte dazu wurde jedoch immer eher als Verschwörungstheorien abgetan. Dank Snowden gibt es jetzt die Beweise. Es ist nun real, vor allem die Infrastruktur in den USA und UK, und wer weiß, ob nicht andere Großmächte wie Russland und China ähnliche Strukturen haben.

Ich: Als ich das erste Mal davon hörte, musste ich an Hollywood denken: „Staatsfeind Nr. 1“ zum Beispiel. War Hollywood uns eins voraus? Hat man es schon geahnt?

M. Beckedahl: Ich hab eher an „24“ gedacht. Der „Staatsfeind Nr. 1“ ist auch ein gutes Beispiel. Beide haben die Realität schon sehr gut abgebildet, waren aber für viele immer noch reines Science-Fiction. Man weiß es nicht. Man vermutete zum Beispiel bei „24“, ob da nicht gewisse (amerikanische) Wertevorstellungen hineingetragen wurden wie die Legitimierung von Folter, die Verwendung von übermäßigen Überwachungsmaßnahmen, im Guten gegen die Terroristen. Der Staatsfeind hingegen ist ja der Gute, der überwacht wird. Beide Regisseure werden natürlich dennoch die richtigen Leute gefragt haben, um Technologien und Methoden einer Überwachung visuell sichtbar zu machen und zu zeigen, was möglich ist.

Ich: Die Filme hatten ja schon für gewisse panische Grundstimmungen gesorgt. Wie sollte sich nun heute der kluge Bürger im besten Fall verhalten? Konsequenzen ziehen, sich panisch verschanzen? An sich verhält er sich ja momentan doch eher lässig und locker und weniger intensiv, als sich manch Intellektueller in Deutschland wünscht.

M. Beckedahl: Ich bin auch hin- und hergerissen. Einerseits, wenn wir jetzt wirklich damit anfangen uns abzufinden, dass wir in einem Überwachungsstaat leben, schränken wir automatisch unsere Kommunikation ein. So, und dann leben wir automatisch nicht mehr in demokratischen Verhältnissen. Weil wir vor dem Schreiben einer Email, eines Briefes überlegen müssten, wie wir was formulieren können oder sollten. Andererseits weiß auch niemand, was passiert, wenn wir einfach so weiter kommunizieren wie bisher. Wer weiß, ob die Themen in unseren Emails oder die lockeren Posts auf Facebook irgendwo gespeichert und irgendwann einmal gegen uns verwendet werden. Insofern ist es für uns wohl noch nicht wirklich nachvollziehbar, rein rational. Was hilft, ist auf sichere Verbindungen zurückzugreifen. Ich kommuniziere hauptsächlich über verschlüsselte Verbindungen wie Jabber. Der Vorteil hier ist natürlich, dass alle meine Kommunikationspartner das auch so sehen. Das ist Open Source und sehr einfach nutzbar.
Ich haue aber auch nicht mein ganzes Privatleben bei Facebook raus. Mir war schon immer bewusst, dass alles irgendwo dort gespeichert wird, was ich nicht kontrollieren kann. Es zählt also, mehr Bewusstsein dafür zu schaffen, wie verschlüsselte Kommunikation funktioniert und vor allem, was man ins Netz schreibt.

Ich: Wem gehört eigentlich das Internet? Können wir es einfach mal so abschalten?

M. Beckedahl: Da gibt es ja die Diskussion des „Kill Switch“, die zumeist durch das Sommerloch kommt. Hatten wir vor ein oder zwei Jahren in Deutschland, ob man nicht bei einem Terrorangriff das ganze Internet ausschalten könnte. Die Frage wird also irgendwie häufig gestellt. Nur leider ist es so, dass das Internet privatwirtschaftlichen Unternehmen gehört, die einen Großteil der Kabel und Telekommunikation besitzen. Auch Staat und Militär haben ihren Anteil. Und auch allerhand Internet-Services gehören privaten Unternehmen. Demnach nutzen wir als Gesellschaft privatisierte Öffentlichkeiten zur Kommunikation und zur Konstituierung unserer privaten Onlinekultur. Könnte Probleme geben. Der „Kill Switch“ wird vor allem von Leuten gefordert, für die das Internet noch NEULAND ist und die eine komische Vorstellung davon haben. Ich hoffe nur, dass es nie dazu kommen wird, dass eine Person über unsere Kommunikation entscheiden wird.

Ich: In welche Dimensionen werden wir, Ihrer Meinung nach, uns noch in diesem „Skandal“ bewegen? Ebbt es ab oder wird es noch krasser werden?

M. Beckedahl: Ich habe die Hoffnung, dass Snowden noch tausend Dokumente mitgenommen hat. Und dass wir erst einen kleinen Teil davon gesehen haben und dass da noch eine Dimension auf uns zu kommt, von der wir nur erahnen, wie groß das Bild wirklich sein kann, was technologisch möglich ist und bereits davon umgesetzt wird. Und es gibt ja einflussreiche Kreise, darunter ist übrigens auch unsere Bundesregierung, die diese Debatte sofort beenden würden. Das werden wir hoffentlich nicht machen, denn wir haben als Gesellschaft immer noch nicht die richtigen Schlüsse daraus gezogen, was es bedeutet, wenn unsere Kommunikation abgeschnorchelt und irgendwo abgespeichert wird, ohne dass wir wissen, wo, oder dass wir wissen, von wem und überhaupt ob das gut für uns ist oder nicht.

Ich: Ist Datenschutz eigentlich nicht eine Illusion?

M. Beckedahl: Nein, ich sehe Datenschutz immer noch als Schutz der Privatsphäre und als Menschenrecht. Und um die zu schützen, müssten wir unsere Datenschützer personell und finanziell einfach mal besser ausstatten, damit sie endlich in der Lage sind, besser kontrollieren zu können, was Unternehmen mit unseren Daten anstellen.

Ich: Ja. Das stimmt. Vielen Dank, Herr Beckedahl, für das Telefonat!

Ich legte auf. Mir war mulmig. Ja, ich habe das Thema bisher nur am Rande verfolgt, war eher auf das Drama fixiert als auf die Tiefe, die alles letztlich wirklich mit sich bringt. Meine Mails, meine mit Herzchen versehenen Nachrichten an meine Liebste, mein Hass, wenn ich mich ärgerte, wenn ich wieder über die Menschheit ätzte – alles lag nun irgendwo dort draußen, gespeichert auf großen Festplatten. Und ich sah vor meinem inneren Auge das Urteil: Schuldig!

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