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Auf ein Telefonat mit Matthias Onken

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Matthias Onken: „Du hast eigentlich meine Geschichte aufgeschrieben.“

Nicht viele schaffen, was sie schaffen. Also die, die es schaffen, anderer Menschen Seele sprechen zu lassen, sich wiederfinden zu lassen in deren eigenen Werken. Es ist eine Kunst, einen gemeinsamen schweigenden, aber viel beachteten Konsens zu entwickeln, der es möglich macht, plötzlich Zugang zu Millionen Menschen zu finden. Gut, Millionen Menschen klingen doch sehr mainstreamig. Soll es aber nicht sein. Ich hebe lieber gerne die Kunst der Empathie hervor. Ohne die wären wir wohl keine Menschen.

Mensch hin, Mensch her. Ein zweiter Punkt das ‚Wie?`, sein Inhalt, seine Botschaft. Dass es sich zwangsläufig bedingt, mag angehen. Ist aber keine Maßgabe. Dieter Bohlen hat auch geschafft, wovon viele träumen (auch wenn er nicht unbedingt ihr Herz erreichen mag). Anders sind da die Autobiografen, jene Spezies Mensch, die sich im Kern dagegen wehren, ihre Geschichte könnte anderen eine Mahnung sein. Sondern aufgeschrieben sei sie nur ein Puzzleteil, das darnieder liegt.

Ich mag sie. Ich verbringe gerne Zeit mit ihnen. Auch wenn es nur ein paar Minuten am Telefon sind, die uns miteinander verbinden. Es zählt letztlich das Gespräch. Das, wenn es gut läuft, entweder einen denkbaren Eingang hat oder einen noch denkbaren Ausgang. Zu den Gesprächen ihrer Urheber zählen jene, die schon nach den ersten gesprochenen Worten den Weg ins Herz finden. Nicht aufgrund der Konnotation, ergo seiner mahnenden Botschaft. Es liegt an den Parallelen, die sich vor einem selbst aufbauen. Parallelen zum Selbst, zum eigenen Leben, das bis dato eigentlich oftmals fremd war.

Zumeist hörte ich darum: „Hammer hits head, but the nail doesn’t move.“ Und am Ende blieb nichts als eine Staub trockene Erkenntnis, mit der man nicht mal auf dem Markt hätte bezahlen wollen.

Bis ich das Buch von Matthias Onken in die Hände bekam, dank einer werten Kollegin. Ich kannte Matthias Onken eigentlich schon länger; kurz hatten wir uns mal in der BILD-Redaktion kennengelernt. Lange danach blätterte und las ich seine Zeilen und wusste: Eines Tages werde ich ihn sprechen.

Jetzt klingelt das Telefon. Es tutet. Und… na ja… es tutet halt, bis Matthias abnimmt.

Ich: Hallo Matthias, zuerst: Danke für Dein Buch. Ich bin mir sicher, dass Du vielen aus der Seele gesprochen hast. Wie geht es denn Deiner Seele jetzt, wo Du sie von innen nach außen gedreht hast?

M. Onken: Meine Seele baumelt, wie man so schön sagt. Zumindest versuche ich das sicherzustellen. Denn ich bleibe anfällig für Stress, das ist eine Charaktereigenschaft von mir. Wenn mich ein Thema begeistert, ein Projekt berauscht, dann berausche ich mich auch mit viel Arbeit. In meinem neuen Leben versuche ich sorgsamer mit meinen Kräften zu haushalten und den Ausgleich im Auge zu behalten. Mein Tagesziel ist es, Feierabend zu machen, bevor mein zweiter Sohn, neun Monate alt, ins Bett geht.

Ich: Das heißt, Du hast schon sehr viel gelernt und durch das Schreiben des Buchs reflektiert.

M. Onken: Das Schreiben war so eine Art Therapie. Ich habe jahrelang mein Stressleiden mit mir herumgeschleppt und versucht, jeden Kontakt dazu zu vermeiden. Deshalb musste ich mich erstmal dafür sensibilisieren, was eigentlich mit mir passiert war. Früher habe ich auf mahnende Hinweise von anderen mit Arroganz und Sätzen wie ‚Ihr habt keine Ahnung` oder ‚Lasst mich mal machen, das ist eine Phase` reagiert. Das Buch ist genau das Gegenteil. Darauf zugehen und reflektieren dessen, was passiert ist. Um es selbst zu begreifen.

Ich: Ich habe Dich im Sommer 2011 noch in der BILD-Redaktion in Hamburg kennen gelernt. Zu dem Zeitpunkt hattest Du bereits gekündigt. Was ging in Dir wirklich vor, in den letzten Tagen? Aufatmen? Reue? Demut?

M. Onken: Der Moment meiner Kündigung bei Kai Diekmann war für mich ein spannendes Ereignis. Ich habe mir sehr genau überlegt, wie das ablaufen könnte, mir verschiedene Varianten zurechtgelegt. Ich hatte ja gute Beweggründe für mich gefunden, zu kündigen. Die wollte ich zum einen kommunizieren und zum anderen aber eben auch so verstanden wissen. Als das geklappt hat und ich das Gefühl hatte, meine Botschaften sind angekommen, ging es mir sehr gut. Das war ein erlösendes, befreiendes Gefühl. Die folgenden Wochen bis zu meinem tatsächlichen Ausstieg aus dem Job waren die angenehmste Zeit, die ich in den letzten Jahren erlebt habe als Chefredakteur. Denn ich habe nach dem Prinzip ‚just for fun’ weitergemacht.

Ich: Wenn Du die Zeit zurückdrehen und alles noch mal machen könntest. Worin würde sich der neue Matthias von Dir jetzt unterscheiden?

M. Onken: Ich möchte das Rad auf keinen Fall zurückdrehen. Das ist meine Erkenntnis der letzten Monate. Ich möchte in diese Rolle keinesfalls zurückkehren, eine verantwortliche Position im Boulevard wieder einzunehmen. Was nicht heißt, dass ich keine Verantwortung mehr übernehmen möchte. Ich schließe nicht aus, für große Projekte Verantwortung zu tragen, leitende Positionen zu übernehmen oder noch einmal in der Festanstellung zu arbeiten. Da bleibe ich offen und schaue, wie sich die Dinge entwickeln. Aber rückblickend finde ich es immer schwer zu beschreiben, was man hätte anders machen können. Ganz sicher hätte ich mich sehr viel mehr kontrollieren müssen. Nach dem Motto: Wenn so viel Kritik an Dich herangetragen wird – wie Du arbeitest, wie viel Du arbeitest – musst Du dafür offener werden und auf solche Hinweise viel aufmerksamer und dankbarer reagieren, statt sie einfach abzublocken.

Ich: Was mit Medien: Das ist ja ein Karrierewunsch zahlreicher Schulabgänger. Würdest Du sie davor warnen?

M. Onken: Mein Buch ist kein Ratgeber. Mein Buch ist eine Erzählung meiner Geschichte, die allerdings den Lesern helfen kann, sich darin wiederzufinden. In Teilen, im Ganzen. Das wurde mir vielfach von Lesern gespiegelt. Der Tenor war: ‚Du hast eigentlich meine Geschichte aufgeschrieben.’ Und das kann ja manchmal schon sehr helfen. Dass Dir jemand eine Geschichte erzählt, Dir Lösungsansätze aufzeigt und Du Deine Situation reflektierst. Aber es ist kein Buch mit zehn goldenen Regeln.

Ich: Als Ratgeber habe ich das auch nicht verstanden. Ich habe es eher als Mahnung gelesen. Was ja auch einen Dialog anregt. Zwischen Dir und Menschen, denen es ähnlich geht, respektive ging.

M. Onken: Mahnung ist interessant. Würde ich nicht verneinen. Es ist vielleicht noch mehr ein Appell. Ein Standpunkt, der etwas Appellierendes mit sich bringt und sich im Grunde an Arbeitgeber richtet. Die bestimmen ja in der Regel darüber, in welchen Strukturen ihre Mitarbeiter tätig sind. Wie viel ihnen auch über den Kopf wachsen kann. Für diese Strukturen sind sie verantwortlich. Dass da mehr darüber gesprochen wird, ist ganz wichtig. Auch gerade um Führungskräfte zu „entstressen“ und sie aus diesen starren Konzernstrukturen zu befreien. Flexibilität darf nicht mehr nur ein Wort sein, sondern muss wirklich gelebt werden. Auszeiten tatsächlich als Auszeiten für Mitarbeiter zu gestalten. In Abwesenheitszeiten ist das mobile Büro mit dabei. Das sind keine Auszeiten, wie man sie braucht. Dazu möchte ich eine Diskussion anstoßen.

Ich: Ich glaube, dass Dir das auf jeden Fall gelingt. Meine letzte Frage drängt auch in die Richtung: Stress kommt in jedem Beruf vor, in jeder Branche, aber ich glaube auch durch die Verlinkung mit Dir und den Medien assoziiert man Deinen Stress hauptsächlich mit den Medien. Glaubst Du, dass da jemals ein Umdenken stattfinden kann?

M. Onken: Ja, manchmal werde ich gefragt, ob das ein Branchenbuch ist, also ein Medienmacherbuch. Klar, zum einen schon, weil ich die Situation beschreibe, die vielen Medienmachern bekannt ist. In meinem Tagesablauf findet sich derjenige wieder, der aus den Medien kommt. Nichts destotrotz soll dieses Buch stellvertretend für andere Branchen stehen. Neulich wurde ich in der Reinigung von einem Mitarbeiter angesprochen, einfacher Angestellter, der mir sagte, dass er das auch habe. Und dann erzählte er mir, dass er sich in meiner Geschichte wiedergefunden habe. Als kleiner einfacher Mitarbeiter einer Hemdenreinigung. Das fand ich einerseits fast lustig. Aber wenn er sich in mir wiederfindet, erfüllt das genau meinen Wunsch: Nämlich, dass meine Geschichte nicht nur im Management und in den Medien verstanden wird.

Ich: Vielen Dank, Matthias, für das Telefonat!

Nach so einem Gespräch und vor allem dem Buch selbst gibt es nicht viel zu schreiben. Es ist, wie es ist. Eine klobige Masse im Kopf, die sagt: „Höre endlich auf und zerstöre nicht, was Du liebst. Das ist die Arbeit nicht wert…“

Ich höre gerne ihren süßen Ruf.

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