Prof. Dr. Jack Nasher: „Ich habe noch nie in meinem Leben gelogen.“
Eine nicht geringe Zahl Weisheiten entsprang einmal der Küchenpsychologie. Eine jedoch bringt mich zum Nachdenken, immer dann, wenn ich mich an Orten großen Menschenandrangs befinde: „Könnte man all die täglich verbreiteten Lügen in Energie umwandeln – wir bräuchten keine anderen Energiequellen mehr.“
So war es am letzten Mittwoch. Volle U-Bahn, viel unfreiwillige Beteiligung an Mitfahrendengesprächen. „“Und ich hab dem Depp vertraut…“, „Alter, ich schwör Dir, die Schraube lügt doch…“, „Mann, ich will doch nichts von dem, der ist mir total egal…“, „Sie kriegen bei 2,4 Prozent mehr Rendite aus dem Topf als bei einer gewöhnlichen Bank, da geb ich Ihnen Brief und Siegel (er so am Telefon)“…
Sollte Klaus Merten („Lügen erhalten die Kommunikation“) Recht behalten? Sind wir klug, intelligent und überlegen oder einfach nur dumm, wenn wir lügen? Gehört es heute zum guten Ton? Lügen oder belügen lassen?
Halb aus der U-Bahn, halb auf der Straße, griff ich mein Telefon. Ich brauchte Hilfe. Hilfe bei der Klärung für ein besseres Verständnis. Und dabei konnte mir nur Professor Dr. Jack Nasher helfen, seines Zeichens Buchautor, Wirtschaftspsychologe und Professor an der Munich Business School.
Das Telefon wählt, tutet und tutet.
Dr. Nasher: Nasher…
Ich: Hallo Herr Professor, ich habe heute Morgen meinen Bäcker angelogen: Ich habe behauptet, ich hätte kein Kleingeld, sondern nur einen 50 Euro-Schein. Und ich muss gestehen, ich habe ein schlechtes Gewissen. Ist das normal?
Dr. Nasher zögert: Ja, eigentlich ist das nomal. Schuld ist zunächst ein typisches Gefühl. Zusammen mit Angst sind beides übliche Emotionen, die man fühlt, wenn man jemanden belügt. Schuld fühlt man aber eigentlich noch mehr in persönlicheren Beziehungen. Da ist es im Prinzip normal, aber bei einem Bäcker, den man kaum kennt… na ja, das spricht für Sie.
Ich: Danke!… Sie schrieben mal mit Jean Pauls Worten “Je mehr Schwäche, je mehr Lüge. Die Kraft geht gerade.” Danach seien Lügen kein Indiz für Stärke, Führung und Intellekt. Müsste man Jean nicht vom Gegenteil überzeugen (wenn er denn noch lebte)?
Dr. Nasher: Nein, eigentlich nicht. Sagen wir mal so: Viele angebliche Notlügen werden aus Feigheit ausgesprochen. Man schickt sich an, zu sagen: ‚Gut, es war eine Notlüge’. Dabei ist man gar nicht in Not. Das macht man nur, um sich das Leben zu erleichtern, weil man nicht anecken will, weil man irgendwie einen guten Eindruck machen will. Aber man darf nicht vergessen, dass es sehr selten nötig ist. Insofern kann man schon sagen, dass Schwäche mit Lügen korreliert. Jeder kennt Leute, die sich irgendwie nur durch ihr Leben mogeln und bei geringstem Nachteil die Lüge wählen. Ich denke, dass es da eindeutig mit Schwäche zu tun hat. Sicherlich lügt jeder mal, doch je häufiger jemand zu diese Mittel greift, desto schwächer ist er eigentlich, weil er die Konsequenzen nicht akzeptiert, die die Wahrheit mit sich bringt.
Ich: Blenden, schwindeln und täuschen soll(te) mittlerweile jeder können. Wir kennen ja keinen Tag mehr ohne – Werbung, Nachbarn, Busfahrer. Hat es so krass zugenommen? Oder belügt uns unsere Wahrnehmung?
Dr. Nasher: Erst einmal: Heute ist das Lügen leichter denn je. Wir haben heute Privatsphäre, die gab es früher nicht. Und die führt natürlich dazu, dass man besser lügen kann. Je mehr Privatsphäre, desto schwieriger die Wahrheit zu überprüfen. Und die Konsequenzen sind auch nicht mehr ganz so gravierend, zumindest im Gegensatz zu den vorangegangenen Jahrhunderten. Früher wurde man aus dem ‚Stamm’ ausgeschlossen oder gleich totgeschlagen. Paradoxerweise wird dagegen heute gerade in der Politik immer weniger gelogen als früher…
Verblüffung. Ich: Äh…
Dr. Nasher: …ja, Politiker können heute kaum noch lügen, weil sie sofort entlarvt werden. Es werden gleich ganze Webseiten gegründet, Beweise auf Youtube veröffentlicht oder andere Kanäle bespielt. Bestes Beispiel Herr zu Guttenberg. Er geriet ins Gespräch, es gab den Guttenplag mit Tausend Kommentaren und sein jehes Ende… Also diese Transparenz macht es mittlerweile immer schwieriger. An anderen Stellen wird anders mit solchen Verfehlungen umgegangen. Die Doktorarbeit von Helmut Kohl zum Beispiel ist verschwunden…
Ich: Aber die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist doch eigentlich genau die: Jeder Politiker lügt und hält keines seiner Versprechen…
Dr. Nasher: So etwas habe ich Andrea Ypsilanti bei einer Talkshow mal gesagt, als man ihr vorgeworfen hatte zu lügen. Da hat sie gesagt, sie hätte nicht gelogen, sie hätte ein Versprechen nur nicht gehalten. Hier muss man unterscheiden: Weiß man es vorher oder nicht. Wenn uns ein Politiker zum Beispiel durchgehend höhere Löhne verspricht, dann kann er sich denken, dass das nicht zu halten ist. Wenn man also fahrlässig mit der Wahrheit umgeht, liegt eine Lüge vor. Ohne Wortklauberei zu betreiben: Es existiert schon eine gewisse Trennschärfe zwischen ‚Versprechen nicht einhalten’ und ‚in Lügen reden’.
Ich: Angeblich sind Lügner intelligent. Wer besser lügen kann, setzt sich durch. Schon mal an das Schulfach „Lügen und Überleben“ gedacht?
Dr. Nasher: Lügen würde ich jetzt nicht sagen. Ich meine, gut lügen lernen, ist ja auch nicht verkehrt. Aber ich denke, mit „Lügen entlarven“ als Fach fängt man das ganze noch viel besser an. Denn wenn man es gut lernt, dann zahlt man weniger, dann holen wir in Verhandlungen – ob es um den Job geht oder um etwas anderes – immer das Optimale heraus. In den Business School hier in München unterrichte ich das meinen Studenten. Enlarven ist wirklich goldwert. Das ist viel wichtiger als gut zu lügen.
Ich: Haben Sie als Kind mal gelogen? Wie empfanden Sie, was sie heute wissenschaftlich beleuchten? Schlechtes Gewissen?
Dr. Nasher: Ich habe noch nie in meinem Leben gelogen.
Stille in München und Hamburg.
Dr. Nasher lacht: Dass gelogen wird und auch schon immer wurde, das überraschte mich wenig. Mir ging es nur um eins: Wie kann ich erkennen, ob jemand überhaupt die Wahrheit sagt. Es gibt auch noch so viele interessante Fragen über das Lügen. Warum tun wir es überhaupt? Aber professionell beschäftige ich mich nur mit dem Entlarven. Das finde ich eigentlich das Spannendste. Und vor allem will es auch jeder wissen: Wie kann ich herausfinden, dass man mich anlügt? Jeder will an die Wahrheit kommen. Nur dafür weiß man zu wenig. Eigentlich müsste das jeder lernen.
Ich: Ich werde dann nochmal Ihr Buch studieren und mir noch mehr die Serie „Lie to me“ ansehen. Aber erst einmal wünsche ich Ihnen einen schönen Tag. Ehrlich! Vielen Dank für das Gespräch.
Vielleicht stimmt es ja doch, was Klaus Merten behauptete. Wer lügt, bleibt im Spiel. Im Kommunikationsspiel. Oder aber: Wenn Schwäche lügt, bleibt sie so lange am Ball, bis ihre Taten sie disqualifizieren. Man weiß es nicht. Ich jedenfalls werde kundtun, dass ich doch irgendwie alles glaube, was man mir sagt. Oder nicht?
(Eine Anmerkung: Das Telefonat fand statt am 16. Juni 2011 um 16 Uhr)
immer wieder erfrischend deine ansichten zu lesen , sag masl gibt es auch kurz seminare lügen entlatven ?
lg
Jasper
Moin Jasper, eine gute Frage! Aber da muss ich Dich an den Professor weiterleiten. Schau mal auf http://www.jacknasher.com. Dort findest Du sicherlich Informationen, die Dir Deine Frage beantworten.
Viele Grüße
Florian