Michel Abdollahi: „Weil der Slam Rock’n’Roll ist, ist er am Ende nicht zu intellektuell.“
Ich sitze vor meinem Rechner. Ich grübele. Ich suche nach Bewegung, nach dem Move. Dabei hadere ich mit mir; besser: ich kämpfe mit mir. Meine Einfältigkeit, die richtigen Worte aneinander zu reihen, schiebe ich auf meine Finger. Doch die sind nicht schuld an meiner Trägheit.
Ganz unverhohlen suche ich meinen Schreibtisch nach etwas Brauchbarem ab. Nach Texten, die ich recyceln kann. Merkt schon keiner. Und die, die es bemerken würden, sind in der Minderheit. Ihnen würde keiner Glauben schenken, wenn ich die Zeit oder den Spiegel kopieren würde. Wer liest das schon? Besser: wer glaubt ihnen schon?
Doch mein Gewissen hindert mich. Zu Recht. Nur Verlierer kopieren. Also mache ich Kopfstand und verliere ich mich dabei im letzten Poetry Slam, dem ich beiwohnte, dem Kampf der Künste. Ich höre maschinengewehrsalvenartiges Vokabular an meinen Ohren vorbeizischen. Ich knie nieder vor intelligenter Wortschöpfungskreativität. Ich werde zur Einheit mit allerhand Klangbildern, bewege mich in ihnen, als seien sie für mich gemacht. Oder einfach: ich bewundere jeden Slammer.
Es ist ein neuer Beweis, dass ich rhetorisch ein Angehöriger unterster Intelligenz bin. Stolz macht es mich nicht. Schon im Kindergarten erhielt ich sozialistischen Sprachbeistand. Die staatliche Frühförderung war eher meiner Nuschelei geschuldet. Wer mich kennt, weiß, dass die Genossen wohl keinen nennenswerten Erfolg hatten. Zumeist vernebelt sich bei Überforderung oder Anspannung mein Sprachzentrum. Genau in den Momenten, in denen man mich überfällt und suggeriert, es ginge um mein Leben. Oder die Übermüdung lässt grüßen. Dann kann sich mein Wortschatz schon mal auf zwei Dutzend Worte reduzieren.
Aber ich kann telefonieren. Dann bin ich die Ruhe selbst und weiß mich sprachlich zu verteidigen. Zumindest hat Michel Abdollahi, Moderator der Kampf der Künste, so getan, als ob. Denn er durfte sich meiner telefonischen Neugier stellen. Ganz ohne schreiben.
Ich: Michel, mir ist anfangs echt keine Frage eingefallen. Wohl aus ehrfürchtigen Gründen. Nun dann aber doch: Welche Fragen hat man Dir im Interview noch nie gestellt?
M. Abdollahi: Uh, ich gebe sehr oft und sehr viele Interviews und kann eigentlich nur sagen, welche Fragen einem zu viel gestellt werden. Was mir aber noch nie gestellt wurde? Ganz viele Fragen. Zum Beispiel, was meine Lieblingsfarbe ist oder wo ich das letzte Mal im Urlaub war … Also alles, was die Leute nicht so wirklich interessiert.
Ich: Och, warum nicht? Ich würde mich schon für Deine Farbe interessieren. Was ist Deine Lieblingsfarbe?
M. Abdollahi: Gelb.
Ich: Gelb? Warum? Man sieht beim Kampf der Künste recht wenig Gelb.
M. Abdollahi: Privates muss man anderen Leuten ja nicht aufdrängen, so grundlos. Wir haben ja die Sonne draußen. Die ist Gelb und dann sind alle froh, wenn die da ist.
Ich: Natürlich hab ich mich trotzdem vorbereitet. Zehn Jahre Kampf der Künste – wer ist mit wem gewachsen? Du mit ihm oder er mit Dir?
M. Abdollahi: Das ist ein Geben und Nehmen, in beide Richtungen. Davor stand ich auch schon auf der Bühne, bevor wir 2005 den Kampf der Künste gründeten. Seither sind wir, also Jan-Oliver Lange, mein Partner, und ich, beide dran gewachsen. Ich habe mich verändert, Jan-Oliver hat sich verändert. Wir haben uns alle angepasst. Am Ende ist es ja auch mittlerweile eine große Veranstaltung mit dreißig, vierzig Terminen im Monat, wovon ich bei weitem nicht alle mache. Und dann verändert sich so ein Ding über die Zeit. Nur die Freundschaften, die verändern sich nicht. Die bleiben, wie sie sind. Ansonsten wächst alles aneinander.
Ich: Und dabei siehst Du als Moderator ja mehr von den Slammern und deren Entwicklung als andere. Welchen Weg verfolgt die Szene?
M. Abdollahi: Die Slamszene ist ja Spokenword, Literatur, Poesie und Geschichten. Dafür braucht man schon einen gewissen Intellekt. Das ist wohl so vorgegeben. Dann kommt dazu auch noch der performative Charakter, sprich das Ganze auf der Bühne auch noch unterhaltsam in Szene setzen zu können. Das ist eine super Kombination. Die meisten beschäftigen sich zumindest den ganzen Tag mit Wissen. Das führt dazu, dass die Szene gesund diskutieren kann. Und weil der Slam auch Rock’n’Roll ist, ist es am Ende nicht zu intellektuell. Es gibt so auch keine Grundsatzdiskussionen wie im Autorenverband. Sondern die Szene ist gutgelaunt und quirlig, die auch was in der Birne hat und sich auch im gesunden Maß hinterfragt. Und das ist super. Daran kann eine Szene wachsen. Das macht die Slamszene. Sie diskutiert und macht und tut und bleibt dabei gesund. Und sie ist sehr echt sich selbst gegenüber.
Ich: Ist der Slam Pop geworden?
M. Abdollahi: Das war er, glaube ich, immer schon. Wenn eine Sache sehr sichtbar wird, dann stellt sich die Frage: Was ist das? Und irgendwie war es schon immer etwas Pop. Man kann ja auch die anderen Sachen nach Musik einordnen: die Wasserglaslesung wäre leichte Klassik, der ganz einfache Schriftsteller ist der Barockdichter. Pop ist etwas sehr Schönes. Die meisten Menschen hören auch gerne Pop. Also darum gerne Pop. Lieber als Grunge.
Ich: Ich war gestern Abend zufällig auf einem Diary-Slam im Hamburger Aalhaus. Das würde dann wohl eher Indie sein, oder?
M. Abdollahi: Ja, genau, das kann man ganz gut sagen. Es gibt verschiedene neue Formen des Poetry Slams. Das spricht im Übrigen auch dafür, dass die Leute Interesse am Slam haben. Der Sinn war auch immer: ich veranstalte auch selber mal was. Das ist mit dem Kampf der Künste natürlich mittlerweile etwas schwierig – so mit Theater und Flexibilität. Das hat eine andere Dimension erreicht. Aber ansonsten haben wir in Hamburg nach wie vor noch so viele Leute, aus unserem Kreis heraus, die Lust haben, ganz eigene Slams zu veranstalten. Und wenn’s funktioniert, dann funktioniert’s. Und wenn nicht, dann kommt halt etwas Neues.
Ich: Wie erlebst Du eigentlich so den Switch zwischen Bühne und Alltag? In Dir steckt ja noch eine andere Rolle Michel, würde ich meinen.
M. Abdollahi: Eigentlich nicht. Das ist eine Frage, die oft gestellt wird. Der Kampf der Künste begann so als Hobby, was wir mal starten wollten. Das war wie eine Band gründen. Wir spielen jetzt mal, weil wir gerne Musik machen. Man muss sich über die Zeit dann immer wieder fragen, wie viel Zeit investiere ich jetzt in das Projekt. Und da ich recht wenig Zeit hatte, viel dafür vorzubereiten, sagten wir: Wir nehmen den Menschen, der ich so bin. Den stellen wir jetzt auf die Bühne. So und ich erzählte mal. Am Anfang habe ich dadurch viel ausprobiert. Musste herausfinden, was bei den Leuten so funktioniert. Das war eine Spätabendveranstaltung, die mal gut bis ein Uhr nachts ging und ein paar versprengte, verstrahlte Fans hatte. Da konnte ich viel ausprobieren. Es stellte sich schon bald heraus, dass der ganz normale Michel, also der aus dem Alltag auf der Bühne erzählte, was ihm so passierte und was er erlebte, wie ich als normale Stimme aus der Gesellschaft etwas beschreibe, bei den Leuten ganz gut ankam. Mit etwas Übertreibung saß das dann irgendwann schon ganz gut. So wie mit einem Glitzerpaillettenanzug. Und zusammen mit irgendeiner komischen Show, die man gesehen hatte, einer schrägen Figur aus der U-Bahn oder ein komischer Kommentar in der Süddeutschen, also all das Abgefahrene von vorhin, ist das Interesse der Leute geweckt. Das habe ich beibehalten. Darum ist der Mensch, der von der Bühne geht, der aus der Not heraus geboren wurde, immer noch der gleiche. Außerdem war ich schon immer und bin ich heute immer noch sehr gerne, sehr nah am Publikum. Weil ich mich gerne mit ihnen unterhalte. Auch nach der Show sieht man mich, setze mich in Zivilkleidung unter die Leute und trinke mit ihnen noch ein Bier. Dann will ich nicht, dass ich ein anderer Mensch dort bin, dem sie kurz vorher noch Applaus gespendet haben.
Ich: Vielen Dank für das Telefonat!
M. Abdollahi: Danke, Dir auch!
Damit ist auch bewiesen: ich bleibe, wie ich bin.
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