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Auf ein Telefonat mit Urbanshit (Rudolf D. Klöckner)

Rudolf D. Klöckner: „Street Art wird zur urbanen Intervention.

All eyes on Hamburg. Hier ist immer etwas los. Die Einwohner feiern, wann und was immer sie können. Dom, Alstervergnügen, Mondlandungen, Sternschnuppenparties, Weltuntergänge … Das prädestiniert die allerhand vorhandenen Spelunken an der Elbe zu allem. Selbst zur Hollywoodkulisse. Sie wird zur „most wanted city“ in hochgeadelten Streifen mit bekannten Hoffmans und Wrights, ohne sich zu schade zu werden für den Eindruck, den sie damit weltweit für sich selbst auslöst.

Mancher Redakteur spricht schon vom „Ort der Weltoffenheit – und Brutstätte des Terrors“. Gut, da mag makro-urban mit Sicherheit was dran sein. So zeige Corbijn in seinem neuen Film „ein Hamburg, in dem die Moschee gegenüber dem Sexshop liegt und das Nebeneinander von Kiez und feinster Privatbank, von der Lobby des Atlantic und den rostigen Containern im Hafen bewusst ausgestellt wird“. Aber wenn wir ehrlich sind: eine Ameisenperspektive, wie unsere, vermag sich nicht zu erlauben, eine Stadt mit Hafen und Hoffnung für eine Statistenrolle zu verurteilen.

Stattdessen blicken wir kurz auf und blinzeln, während wir durch die Schanze rüber nach St. Pauli laufen. Wir blinzeln weg, was wir nicht sehen wollen, suchen lieber das nächste zum Greifen Geheimnisvolle, was auch mal eben am Nachbarhaus klebt, in Form einer Styroporplatte, bunt bemalt und irgendwie nett anzusehen. Es war dieser Tipp vom Kalle letzte Woche, als dieser doch sagte, das sei irgendein Straßenkunstgedöns und irgendwie wird es auch immer abstoßender mit dieser angeblichen Kunst, die sie überall hinkleben. Ja, ja, oder so ähnlich klang meine Antwort auf seine Ameisenperspektive. Meine wusste es besser.

Ich hatte einen Experten kennengelernt; wurde durch ihn sensibilisiert, mit Feingefühl ausgestattet für das, was da an Häusern hängt und zumeist fast Werte von bis zu 500.000 EUR erzielen konnte, wenn es aus den Köpfen der Banksys oder El Bochos dieser Welt stammt. Der Experte heißt Rudolf D. Klöckner, hört auf den Namen Rudi und ist der Urbanshit, was nicht wörtlich zu nehmen ist, sondern eine Ehre. Denn er kann die Zeichen der Straßen deuten und ist gewillt, sein Hamburg noch schöner, kultivierter und irgendwie visueller zu gestalten.

Das kann er. Weil … Das hat er mir am Telefon erzählt:

Ich: Rudi, ich habe Dich auf einem Street Art-Spaziergang durch die Schanze kennengelernt. Woher kommt Deine Begeisterung für diese Kunst? Du bist ja ein absoluter „Pro“.

R. D. Klöckner: Meine Begeisterung ist mittlerweile schon ein paar Jahre alt. Ich wohnte mal eine Zeit in Wien, als ich anfing, mich stärker mit dem Thema zu beschäftigten. Der Grund war mein Studium, nämlich die Urbanistik und Stadtplanung. Die Fächer habe ich damals in Österreich studiert und hatte dementsprechend – wie das im Studium so ist – viel Zeit. Zudem interessierten mich schon immer die Machtverhältnisse der Gestaltung der Städte. Also wer hat das Recht mitzureden, und wer gestaltet im Endeffekt auch wirklich. Da blieb ich hängen. Das Spannende an der Street Art ist, dass ohne Autorisierung die Stadt gestaltet und damit zu einem charakterlichen Umfeld gemacht wird.

Ich: Du kommt aus der Stadtplanung. War das ein Kern des Studiums? Künstlerische Machtverhältnisse in der Stadt?

R. D. Klöckner: Ganz und gar nicht. Das Studium hat mich zwar indirekt zur Kunst gebracht, gelernt und verstanden habe ist die Street Art aber auf der Straße. So etwas kann und soll das Studium nicht leisten und lehren. Während des Studiums lernt man die klassischen Dinge der Stadtplanung, nämlich wer die Planung vorgibt, wer sie durchführt und wie ein idealtypischer Planungsprozess aussieht – in der Theorie. Was man weniger lernt, ist, dass es auch andere Strömungen gibt, die mitreden und die Stadt mitgestalten. Diese Dinge muss man sich außeruniversitär suchen. Die Suche und das Verlangen danach hat mich letztendlich zur Urban Art geführt.

Ich: Wie stark hat es Dich und Deine Arbeit beeinflusst?

R. D. Klöckner: Ich würde sagen, heute beeinflusst sie mein Leben ziemlich stark, im Positiven. Vor allem meine Wahrnehmung hat sich neu entwickelt. Die Stadt ist für mich eine völlig andere geworden. Wenn ich durch die Straßen gehe, kann ich das Entdecken von Kunst nicht mehr abstellen, weil es für mich ein selbstverständlicher und wichtiger Teil einer Stadt ist. Wenn ich zum Beispiel das erste Mal eine Stadt besuche, schaue ich mir als erstes an, was es an Street Art zu sehen gibt.

Ich: Hat sich Street Art als Subkultur heute popularisiert?

R. D. Klöckner: Street Art als Kunstform ist auf jeden Fall im Mainstream angekommen. Das halte ich auch für relativ wichtig, vor allem wegen der Bedeutung der Kunst und ihres kunsthistorischen Werts. Das führt aber auch dazu, dass Street Art in vielen Fällen bedeutungslos wird. Heute wird alles irgendwie als Street Art gekennzeichnet, da es sich über die Ästhetik und den Charme von Subkulturen immer gut verkaufen lässt. Mit Street Art hat das aber in der Regel nichts zu tun. Das ist Dekoraktion und Werbung. Richtige Street Art existiert aber nach wie vor und diese ist nach wie vor politisch. Street Art ist per se politisch, da sie sich unautorisiert ein Gestaltungsrecht einfordert. Das bezieht sich aber nur auf den kleinen Teil der Kunst, die auf der Straße hängt, beziehungsweise im öffentlichen Raum passiert.

Ich: Stichwort: politisieren. Könnte man Street Art für politische Botschaften radikalisieren? Würde sich ein zielgerichteter Effekt einstellen?

R. D. Klöckner: Das ist schwer. Ich würde sagen: Street Art ist wie gesagt in irgendeiner Form immer politisch. Ob man sie weniger oder mehr für politische Botschaften nutzt, ist jedem selbst überlassen, da hat sich kaum etwas geändert.

Ich: Berlin und Hamburg haben für mich sehr ausgeprägten Szenen mit der meisten Street Art. Stehen die im Wettbewerb oder hat jede Stadt eine eigene Strömung?

R. D. Klöckner: Sowohl als auch. Es gibt eigene Strömungen. Hamburg war vor allem in den 90ern die Hochburg für die Graffiti-Bewegung. Mit der Weiterentwicklung und Herausformung der Street Art hat sich die Szene mehr und mehr nach Berlin verlagert, da Berlin einfach ein viel größerer Schmelztiegel ist, wo sich Künstler aus der ganzen Welt treffen. Für Hamburg bedeutet es, dass es eine verhältnismäßig überschaubare internationale Szene gibt, aber eine sehr gut ausgeprägte lokale, die ihre Qualitäten und Eigenarten hat. Ich habe das Gefühl, dass sich hier in den nächsten Jahren aber einiges tun wird. Hamburg ist gerade auf dem besten Wege sich seinen Platz auf der internationalen Landkarte der Urban Art zurückzuerobern. In der letzten Zeit kommen immer mehr internationale Urban Art Künstler nach Hamburg. Anfang des kommenden Monats findet zum Beispiel zum zweiten Mal das Knotenpunkt Festival statt. Es passiert was in Hamburg.

Ich: Wie wird sie sich hier weiterentwickeln in den nächsten Jahren?

R. D. Klöckner: Das Schöne an der Street Art ist, dass sie keine statische Kunst ist, die klaren Regeln unterliegt, sondern dass sie sich immer weiterentwickelt. Aktuell sehen ich, dass es verschiedene Strömungen gibt, wohin die Reise geht: Einerseits geht es weg von der reinen Wandgestaltung, hin zur Arbeit im und mit dem Stadtraum. Gleichzeitig bewegt sich die Street Art in eine performative Richtung. Die Street Art wird intelligenter und entwickelt sich zur Aktionskunst, Performance und Intervention, die reale Veränderungen der Stadt und des Raumes produziert und provoziert.

Ich: Welche Street Artler beherrschen Hamburg und gestalten unter uns ihre urbane Welt?

R. D. Klöckner: Hamburg hat eine sehr ausgeprägte und vielseitige Szene ganz unterschiedlicher Künstler. Wenn ich Namen nenne, dann unterschlage ich die meisten, also sollte ich erst gar nicht damit anfangen. Ein paar meiner aktuellen Favoriten nenne ich aber doch: 1010, We Are Visual, Tona, Elmar Lause und Zipper die Rakete.

Ich: Wie passt City Canvas in unsere heutige Zeit und nach Hamburg?

R. D. Klöckner: Mit dem City Canvas Projekt bringen wir Kunst in Form von großen Wandbildern, sogenannte Murals, in den öffentlichen Raum. In Zeiten, wo Urban Art in fast jeder Galerie zu finden ist, ist es Zeit die Kunst wieder zurück in den öffentlichen Raum zu bringen. Teile des öffentlichen Raumes werden somit zur kuratierten Ausstellung. Die Stadt wird zur Leinwand. Deshalb auch der Titel City Canvas.

Ich: Vielen Dank für das Telefonat!

R. D. Klöckner: Danke, Dir auch!

Macht die Augen auf, wenn Ihr durch Hamburgs Straßen lauft. Euch entgeht viel, wenn Ihr nur in Eure Welt blickt.

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