Wir alle haben Vorbilder. Hatten sie schon in unserer Kindheit. Sie trugen Tücher über den Rücken, gaben sich verdammt komische Namen und zuweilen waren sie in Kategorien unterteilt: die Rächer und Retter der Welt, die absonderlichste, heldenhafte Klasse. Die Kleinstadthelden, die ihre Fähigkeiten hinterm Berg hielten, sie aber im rechten Moment aus der Trickkiste zogen. Und die ganz Harmlosen; seltsame Tiere mit merkwürdigen, zumeist beängstigenden Stimmen, die einen bis in den Traum verfolgten. Nichts desto trotz haben wir ihnen gehuldigt. Mit Postern im Zimmer, Spielfiguren in den Regalen, ihren Konturen auf Socken.
Jedenfalls ist die Eigenschaft der Verehrung noch anwesend. Ich war damals eher auf die dritte Kategorie fokussiert, die man meinen könnte, einen spätestens ein halbes Jahrzehnt vor dem Einsetzen der Pubertät dann endgültig verlassen hätte sollen. Doch sie kehrte zurück und ich konnte mich ihr nicht verwehren. Nur heißen die Vorbilder nicht mehr Herr Fuchs, Frau Elster oder Pittiplatsch. Die sind auch erwachsen geworden, möchte man meinen. Höre ich sie heute reden, wirft es zuweilen meine Weltanschauung über den Haufen. Will sagen: Alles hat sich verändert, aber alles ist so geblieben.
Einstweilen lernte ich ein neues Vorbild kennen. Er ist ein Underdog. Seine Show wurde in die hinterste Senderecke des Tagesprogramms geschoben. Ich nehme an, seine Quoten waren mies. Oder er hatte sich auf einer Promiparty daneben benommen. Jetzt fristet er ein Dasein um Mitternacht und versprüht genug Charme, einen kleinen Zuschauerkreis zu unterhalten. Seine Popularität wuchs in den letzten Jahren an, seine Weltanschauung hat mittlerweile mehr Einfluss auf die Gemüter als der Bundespräsident. Er ist ein Kastenbrot, sein Name ist Bernd und eigentlich wissen wir, dass er eines Tages Kanzler werden wird.
Um herauszufinden, wie die Arbeit an seinem Wahlprogramm voranschreitet, musste ich mit ihm sprechen. Wie ich hörte, war er viel beschäftigt. Darum rief ich seinen Vater an. Norman Cöster.
Ich: Hallo Herr Cöster, Sie sind Bernd wie aus dem Gesicht geschnitten. Wer hat sich von wem was geklaut?
N. Cöster: Man hat sich ein Bisschen an mir orientiert, denke ich mal, weil es Bernd damals ja noch nicht gab. Aber ich habe längere Arme als er und man sagt zwar, wenn man links an meinem Kopf Hände hält, was Tommy, mein Chef und auch Miterfinder von Bernd, ganz häufig macht, sähe ich aus wie Bernd. Ich halte das für ein Gerücht, aber naja…
Ich: Als Vater von Bernd stehen Sie in seinem Schatten. Wie gehen Sie damit um?
N. Cöster: Da der Bernd nur 50 Zentimeter groß ist es nicht ein sehr großer Schatten. Insofern stehe darüber. Also im wahrsten Sinne des Wortes, denn wenn Bernd vor mir steht, dann ist er nur 50 Zentimeter groß.
Ich: Wann ist denn die Idee zu seiner Persönlichkeit entstanden? Oder wie?
N. Cöster: Zu seiner Persönlichkeit… Ja, das war… Also es gibt ja diese Legende – jeder erzählt sie ganz anders – wir waren beim Italiener, nach einem schlechten Theaterstück und hatten schon ein Schaf und einen Busch. Und dann kam das Sinnloseste, was man noch machen kann, ein Brot. Wobei das auch zusammen, äh… jetzt fällt mir das Wort nicht ein, ich habe zu wenig Kaffee getrunken… äh, weil Tommy früher in einem, sowas wie Heidepark Soltau oder ähnliches, also einem Freizeitpark, als Walross gegangen ist, der ja auch sehr kleine Arme hat und er immer umgefallen ist oder von kleinen Kindern umgeworfen wurde, hatte Bernd dann mein Gesicht, meine damals noch nicht so rosige Weltsicht und zu kurze Arme. So kam das dann. Also, wenn ich mich da recht erinnere. Aber ich glaube, es wird schon langsam Legende. Es gibt also schon mehrere Legenden.
Ich: Aber das ist ja sehr schön, weil, ich meine, so eine Legendenbildung verfestigt die Persönlichkeit auch noch einmal.
N. Cöster: Genau, ja, genau. Also es ist wie gesagt, wenn man drei von uns fragt, gibt es drei verschiedene Legenden. Aber so ungefähr – das ist meine Version der Legende. Also weil ich gerade Weißbrotessen beim Italiener war.
Ich: Die fatalistische und depressive Weltanschauung – Sie hatten gerade erwähnt, dass die auch ein Bisschen von Ihnen kommt. Hat sich das bei Ihnen noch stärker manifestiert?
N. Cöster: Ehrlich gesagt, war es sehr schön, dass man Bernd hatte. Man konnte es dadurch der neuen Generation näher bringen, die fatalistische Weltsicht. Ehrlich gesagt, war es nur eine sehr, sehr gute Therapie, teilweise, einfach nur seinem „Schicksal, warum nur…“ in die Welt hinausposaunen zu lassen, und zwar durch ein deprimiertes Kastenbrot. Und er hat Recht.
Ich: Und er hat immer Recht.
N. Cöster: Er hat eigentlich immer Recht, ja. Genau. Also es hat sich ein Bisschen gebessert, meine Weltsicht. Aber nach wie vor finde ich, da ist noch sehr, sehr viel Wahrheit in dem, was Bernd sagt.
Ich: Hat er sich eigentlich jemals damit – Gesundheit – abgefunden, dass er nur die wenigen Nachtschwärmer unter uns unterhalten darf?
N. Cöster: Das gehört eigentlich, wenn man so will – das war übrigens mein Kollege, der genießt hat und ja, der, äh, sich gerade Bikinimodels anschaut…
Ich: Dann: Gesundheit!
N. Cöster: Ja, genau! Wo war ich stehen geblieben? Jetzt komme ich gerade…
Ich: Die Nachtschwärmer.
N. Cöster: Zu wenig Kaffee hab ich getrunken, das ist es. Ja, das gehört natürlich auch zur fatalistischen Weltsicht, weil wir ja Bernd nicht explizit für die Nachtschleife gemacht haben. Das war am Anfang ein Abfallprodukt, wo wir einfach mal mit ihm gedreht haben, weil es diese Endlosschleife beim KiKa gibt. Dass die natürlich dann erfolgreicher, quasi, oder mehr gesehen wurde oder als die Sachen, die wir auf dem KiKa normalerweise sonst so haben laufen lassen, zeigt ja halt mal wieder, dass Bernd Recht hat. Sagen wir dann „Wir machen eine tolle Sendung, und niemand guckt sie… äh, ich werde geschändet, in einer weißen Box ohne irgendwas und dann gucken mich Zehntausend Leute“. Das wäre ja dann genau diese Nummer: Wenn Du gut aussiehst, sieht Dich niemand. Sobald Du Dir mal Soße auf die Hose gekippt hast, läufst Du natürlich der Frau Deiner Träume über den Weg. So ist es halt auch. Mein Kollege kippt sich auch gleich Soße auf den Schoß und hofft das Beste. Das ist natürlich dumm, aber macht ja nix. Dafür ist er lieb. Genau, das würde der Weltsicht von Bernd entsprechen und ja, es war ja klar, dass es so kommen muss.
Ich: Angenommen, Bernd ginge in die Politik, was ich mir sehr gut vorstellen kann. Immerhin ist ja Entertainment sein Steckenpferd. Wie sähe seine Agenda als, nehmen wir mal an, Kanzler aus?
N. Cöster: Das wäre eigentlich „Lasst mich in Ruhe“ und – na, eigentlich will ja Bernd nicht, dass Leute ihm folgen oder sowas, weil es ist ja schon schwierig genug, dass er selbst mit seinem Tag zurecht kommt. Ja, doch, es wäre einfach „Lasst mich in Ruhe“. Natürlich würde er ein sehr guter Kanzler sein, finde ich. Er würde auch die Dinge so sagen, wie sie sind. Und wir werden danach wahrscheinlich sehr, sehr vielen Leuten vor den Kopf stoßen. Was vielleicht gar nicht mal schlecht ist. Und er hätte auf jeden Fall Profil. Also zumindest ein viereckiges. Das ist zumindest mal ein anderes Profil als, also jetzt, rund, normalerweise. Sie sehen, Politik kann normalerweise auch rund, wenig Haare, sexistisch sein.
Ich: Aber er würde ja genauso polarisieren. Das wäre ein Anfang.
N. Cöster: Ja, polarisieren scheint ja auch gut zu sein. Natürlich will er polarisieren. Er wäre deprimiert und würde sagen „Lasst mich bitte in Ruhe, ich habe keine Lösung für Eure Probleme. Warum kommt Ihr damit zu mir? Löst es doch mal selber.“ Also er würde quasi den Wähler selbst ansprechen, Sachen in sich zu ändern, dass es gar keine großen Probleme gibt. Und wenn man damit zu einem Kastenbrot mit zu kurzen Armen geht, was sagt das denn über den Wähler aus? Das sagt ja eigentlich auch nur aus: „Okay, und ich soll Deine Problem lösen?“
Ich: Es wäre ein übersichtliches Wahlprogramm.
N. Cöster: Es wäre ein übersichtliches Wahlprogramm und würde leider damit wahnsinnigen Erfolg haben. Gerade nämlich weil das was ist, was er gar nicht haben würde. Also haben wollen würde. Was dann wieder für seine fatalistische Weltsicht steht und eigentlich wüsste er es – „Oh Gott, jetzt wird mir langsam schwindelig.“
Ich: Also wie geht es ihm gerade? Wo ist er gerade? Plant er eine neue Show?
N. Cöster: Jetzt gerade, jetzt wirklich körperlich, ist er gerade bei uns unter’m Dach in einer Blechkiste. Aber so rein metaphysisch ist er natürlich immer da, weil wir auch gerade dabei sind, an einem Computerspiel zu schreiben. Der Kinofilm ist immer in Planung und es kann sich maximal noch um ein Jahrzehnt handeln. Er ist auf jeden Fall hier im Büro. Bei uns.
Ich: Dann würde ich vorschlagen: Grüßen Sie ihn sehr herzlich von mir, unbekannterweise
N. Cöster: Ja, das mache ich gerne. Kein Problem.
Ich: Vielen Dank, Herr Cöster, für das Telefonat!
Ich glaube nun, dass es einen Wandel geben kann. Wenn wir fest daran glauben, dann werden wir eines Tages unsere Lösungen selbst finden, frei nach Bernd das Brot.
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