Moses Schneider: „Ich hab diese Klänge wirklich alle in meinem Hinterkopf.“
Wir schalten das Radio ein, unseren mp3-Player, iTunes, YouTube… Wir hören Musik und spielen Luftgitarre, Luftschlagzeug, entspannen oder machen, was auch immer wir mit ihr verbinden. Nur eins tun wir nie: Wir fragen uns nie, wer dafür verantwortlich ist. Also, nicht die Band. Zwangsläufig. Nicht der Sänger, Drummer, Bassist… Der eigentliche Virtuose sitzt hinter einem Mischpult in der Regie und nennt sich nüchtern Produzent. Aber er ist nie nüchtern (abwegig des Alkohols), sondern immer in einem Rauschzustand bedingungsloser Kreation.
Ich wollte wieder wissen, wie es sich anfühlt, hinter den Reglern zu sitzen. Oft war/bin ich im Waldhaus Studio. Dann aber las ich eine Ausgabe der Musikexpress und entdeckte Moses Schneider, seines Zeichens Kopf weit hinter den Beatsteaks, Tocotronic und Turbostaat. Und mein Entschluss war gefasst.
Dabei erfahre ich, dass es sie noch gibt die Informationscowboys. Sie streifen durch die Lande, gehen ihrer Arbeit nach, sind wichtiger Teil einer noch viel wichtigeren Gesellschaft, entwickeln noch viel wichtigere Gesellschaftsdinge und sind mit sich im Reinen – alles ohne ein Mobiltelefon. Unvorstellbar. Aber auch unhinderlich.
Solchen Menschen zu begegnen, ist wahrlich sehr selten und kommt heutzutage als Marienerscheinung daher. Dieser eine Vertreter kam mir unter, als ich mich auf die Suche nach Schneider machte. Ich wurde eingeweiht, als ich ihn sprechen wollte. In der Erwartung, telefonische Einblicke in sein musikalisches Seelenleben zu erhalten, offenbarte er mir: „moin florian. da ich kein telefon habe, lässt sich schlecht ein telefoninterview machen.“ (Email-Auszug)
Der Zufall wollte, dass er die Tage die Aufnahmen von Turbostaat bei Cloud Hill Recordings in Hamburg durchführte. Und die Einladung stand. Und ich war da. Wir saßen auf einem gelb-orange farbenen Sofa in der Ecke eines Raums, der eigentlich die Technik selbst war. Die Worte sprudelten.
Ich: Wenn mir einer der bedeutendsten Musikproduzenten dieser Tage schreibt, er habe kein Telefon, ruft es Verstörung hervor. Hast Du wirklich keins oder bist Du eher ein visueller Mensch?
M. Schneider lacht auf: Nee, ich hab ein Telefon. Ich hab ein Familientelefon. Das heißt, wenn dieses Telefon klingelt, dann stimmt was mit meinem Kind nicht oder wir haben ein Problem zu Hause. Und für meine Familie bin ich erreichbar. Für alle anderen Menschen bin ich nicht erreichbar. Neee, das liegt einfach daran, dass mich ein Telefon zu sehr von der Arbeit abhält. Also es gibt auch im Studio eine Nummer, aber die Leute, die die Nummer haben, wissen eigentlich, dass sie nur zwischen 9:30 Uhr und 11:30 Uhr anrufen können. Danach lege ich auch den Hörer weg. Ich bin in diesem Raum sehr regelmäßig – das ist der Transporterraum – und insofern ist das ganz geil so. Man erzieht sich seine Leute und die anderen rufen, wenn es nicht anders geht, um 9:30 Uhr an. Das Leben ist extrem entschleunigt dadurch.
Ich: Und mit welcher Musik bist Du heute aufgestanden, bzw. welche hast Du heute als erstes gehört?
M. Schneider überlegt: Nee, hab ich heute überhaupt schon Musik gehört? Ich hab hier Musik gehört, um mich „einzuhören“, in die Abhöre. Aber vorher hab ich noch keine Musik gehört. Nee, ich höre aber auch kein Radio morgens. Ich liebe Ruhe. Denn wenn ich bei der Arbeit bin, habe ich die ganze Zeit Musik im Kopf. Also meine Arbeit. Und das reicht mir, ehrlich gesagt, an Musik. Was ich aber immer ganz gut finde, ist, wenn jemand vorbei kommt und sagt: „Kennste schon die Scheibe von…?“ Ich dann so: „Lass mal hör`n!“ Und ich dann noch so: „Oh, geil, danke!“ Ich komme selbst nicht darauf, weil ich nicht aktiv fremde Musik höre. Ich bin nicht im Netz und suche mir neue Musik raus. Nein, ich krieg meistens einen Link von einem Kumpel. Und so höre ich eigentlich Musik.
Ich: Welche Rolle spielt für Dich das Produzentendasein im Musikgeschäft? Bist Du eher der kleine Gehilfe, der mit unter wirre Texte und Klänge zu Geld macht?
M. Schneider: Ich sehe das eher so, dass der Produzent die Aufgabe hat, ein gut klingendes Album mit super Songs als Ergebnis abzuliefern. Das ist die Aufgabe. Er übernimmt dafür die Verantwortung und versucht die Band und den Künstler in eine Situation zu bringen, dass er möglichst über seinen Schatten springt, dass er seine berühmten 100 Prozent und seine eigenen Grenzen überschreitet, um sich weiterzuentwickeln. Das sollte der Sinn und Zweck eines Produzenten sein. Aber jeder arbeitet anders. Jeder hat andere Herangehensweisen und andere Prioritäten. Jede Platte ist dabei für mich eine Herausforderung und ist für mich nicht zu wiederholen. Da ich mich zum Beispiel auf die Live-Aufnahme konzentriere, muss ich, wie in diesem Fall bei Turbostaat, fünf Leute unter Kontrolle halten. Also die gleichzeitig spielen. Und jeder ist gleich wichtig.
Ich: Ich hab mal gelesen, dass Du produzierst, weil Du auf „Kraft, Dynamik und Bums“ stehst. Es werden aber auch Attribute wie „schnell und dreckig“ und immer wieder „live aufgenommen“ verwendet. Ist damit nicht eigentlich alles zu Deinen Produktionen gesagt?
M. Schneider: Also grooven darf es auch noch. Schnell und dreckig mag ja gut sein für ein paar Punkrock-Songs, aber es darf auch mal grooven. Ansonsten super! Natürlich Kraft, Dynamik, da wird Musik zu einem Erlebnis. Ich find es geil, wenn eine Band leise Stellen hat und dann treffen sie gemeinsam die „Eins“, die „Eins“ des Jahrhunderts und alle anderen Takes, die sie spielen, treffen nicht so die „Eins“. Da wird es dann magisch, weil der Raum ja auch reagiert. Wenn alle in einem Raum spielen, kann man sich vorstellen, wie die Raummikrofone auch auf den Raum reagieren. Das bummst dann auch aus den Lautsprechern und das bleibt auch bis zum Ende erhalten.
Ich: Welcher ist dafür wichtigste Knopf in Deiner Schaltzentrale, den Du genau für diesen Bumms betätigen musst?
M. Schneider: Den Knopf gibt es nicht. Eine Live-Aufnahme ist sehr, sehr komplex, weil man sehr viele Sachen berücksichtigen muss. Der Teufel steckt im Detail und erst, wenn alle Sachen miteinander funktionieren, wenn alle Mikrofone in einer guten Balance zueinander stehen, weiß ich, dass da kein Matsch rauskommt. Dann wird es kräftig. Den Musikern erklär ich es anhand von Metaphern, was ich mir für einen Sound vorstelle. Wir haben uns zum Beispiel das Thema Urban und Beton herausgesucht. Wie klingt Beton oder was verbinden wir damit, steif, massiv, das klingt nicht eher nach (BEATBOX), sondern eher nach (andere BEATBOX). Das wird also ein bisschen kräftiger werden. Häuserschluchten bebildern das ganz gut, enge Gassen. Schall, man weiß ja, wie es klingt, wenn man durch enge Häusergassen geht. Okay, wenn wir das irgendwie hinkriegen, also wenn die Platte nach Stein klingt, das wäre super. So gehen wir daran: Erst einmal versuchen, in Bildern zu denken, Kopfkino muss angehen. So kommuniziere ich mit der Band, denn jeder versteht darunter etwas anderes. Aber zumindest weiß dann jeder, dass man ins selbe Boot pinkelt, wo man hin will und wie die Erwartungshaltung ist, wenn die Band aus dem Aufnahmeraum herauskommt, in die Regie reingeht und hören will, was sie gerade aufgenommen hat. Und das muss mit dem korrespondieren, was man vorher gesagt hat. Das ist die sogenannte Phase des Soundchecks, die dauert immer am längsten, ist ja klar. Man hat dann aber ein klares Bild, wo man hin will. Danach geht es ganz schnell. Dann nimmt man schon mal bis zu drei Titel am Tag auf. Weil du dann die Farbe für das Album gefunden hat, die Dynamik.
Ich: Kannst Du dadurch eigentlich noch unbelastet Musik hören?
M. Schneider: Nee, gar nicht. Ich kann Musik überhaupt nicht mehr unbelastet hören, da eine Hirnhälfte im Analysemodus ist. Das empfinde ich aber nicht als schlimm, weil ich immer noch Gänsehaut kriege von Musik. Wenn da eine geile Stelle kommt, dann denke ich „Wah!“. Aber der Rattermann da oben, der Speicher ist endlos. Das hat auch ein Gutes. Ich hab ein sehr gutes Gedächtnis, was Sounds angeht. Ich kann mich an so viele Sounds aus den 60ern erinnern und eigentlich an alle Platten, die ich so in meinem Leben gehört habe. Ich hab früher so eine Platte wirklich hundert Mal gehört. Bis ich sie auswendig kannte. Und ich hab diese Klänge wirklich alle in meinem Hinterkopf.
Ich: Was ist die coolste Produktion ever für Dich?
M. Schneider: Ach, da gibt es Millionen Alben, die fantastisch sind. Und ich meine auch alle. Es gibt nicht DAS Inselalbum. Es gibt so viele super Platten, Querbeet. Wir können zum Beispiel Dead Kennedys „Fresh Fruits for Rotting Vegetables“ nehmen, das war dieses, wo die ganzen Hits drauf waren. Dieses Album versus Miles Davis „Bitches Brew“. Sind auch schon Sachen, die ich gesampelt habe. Einmal so einen Drumsound hinkriegen wie auf „Bitches Brew“, genial. Ich bin überall dabei. Das finde ich super. Ich feiere das auch immer ab.
Ich: Kann ein Normalsterblicher überhaupt das begreifen, was Du als Profi unter Musik verstehst, aus ihr heraushörst? Ihre Religion und Philosophie.
M. Schneider: Gute Musik ist Geschmackssache. Man darf nie vergessen, dass Musik nichts anderes ist als ein Gefühl. Wenn Musik kein Gefühl erzeugt, geht die im einen Ohr rein und im anderen wieder raus. Du kannst sie Dir nicht merken und die wirst Du nie wieder in Deinem Leben hören. Jedenfalls nicht bewusst. Ich weiß noch ganz genau, als ich zum allerersten Mal in meinem Leben Nirvana gehört habe. Da war ich begeistert von. Und ich habe es nicht auf einer fetten Anlage gehört, sondern jemand hat damals eine Musikkassette aus Amiland mitgebracht und meinte, das ist der geile Scheiß, den gerade da drüben hören. Ich hab es mir angehört, wirklich auf popligen Speakern, aber da kam ein Gefühl rüber, was ich noch nie in meinem Leben gehört hatte oder jemals mit Rockmusik verbunden habe. Das ist das, um was es immer geht. Und die haben auch hart für diese Platte gearbeitet. Es ist nicht immer nur Intuition. Das Schöne ist, das hinter all dem auch immer ein Handwerk steckt. Guck Dir Titanic an. Jeder weint in den entscheidenden Szenen, auch die härtesten Typen. Das ist natürlich bewusst gemacht und da gehört sehr viel Wissen dazu. Genauso wie Hitchcock Spannung erzeugen konnte.
Ich: Vielen Dank, Moses, für das Gespräch!
M. Schneider: Easy!
Ich verließ die Studios mit einem Gedanken. Musik ist geil. Sie ist der Tag, den wir als den glücklichsten bezeichnen würden. Sie ist die Wärme, die uns vor dem Erfrieren beschützt. Sie ist die Ebene, auf der wir uns alle begegnen und mit einander reden, obwohl wir uns auf der Straße nie ansprechen würden. Sie kann es einfach. Kommunikation schaffen.
(Das Gespräch wurde am 18. September 2012 bei Cloud Hill Recordings durchgeführt)
Danke für das super Interview! Hin und wieder brauch ich als hungriger Tontechniker im Stadium zwischen „Anfänger“ und „Fortgeschritten“ neuen Input. Moses Schneider ist für mich immer Inspiration pur! Danke auch an ihn!